Altötting, den 4. Juni 2019
Vom Heiligen Stuhl bis hinunter in die kleinste Gemeinde geistert ein Wort durch unsere Zeit, das ein Unwort ist: "Missbrauch"; denn "missbraucht" wird hier das Wort.
Die "Beliebigkeit des Wortes" ist nach unserem Heiligen Vater Benedikt XVI. eines der großen Probleme unserer Zeit und inzwischen auch der katholischen Kirche. Dies wird in diesen Tagen nach der Veröffentlichung der Schrift unseres emeritierten Papstes "Ja, es gibt Sünde in der Kirche" bei der Betrachtung einiger Fälle besonders klar.
Wenn ein zölibatärer Pfarrer den Zeigefinger auf das Brustbein eines ungezogenen Kommunionkindes legt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, dann kann es vorkommen, daß die Eltern des "beleidigten" Kindes den Pfarrer des "Mißbrauchs" an ihrer Tochter bezichtigen. Wenn der betreffende Pfarrer dann zufällig in seiner Diözese umstritten ist, weil er zu "konservativ", zu wenig modern ist, dann wird der Pfarrer wegen vermutlichen "sexuellen Mißbrauchs" schnell von der Kirchenverwaltung aus dem Dienst entlassen. (1)
Wenn ein Bischof bei seinen Kollegen im Kirchendienst unbeliebt wird, weil er kirchenpolitisch versucht, in einer "kultiviert-konservativen Weise die Diözese zu leiten", auch durch seine "Personalentscheidungen und Ernennungen" (2), wird er kurzerhand "Mißbrauchs"-Vorwürfen ausgesetzt, und zum Rücktritt gezwungen, wie es Bischof Mixa ergangen ist. Haben die Vorwürfe einer sachlichen Überprüfung stand gehalten? Nein, sie stellten sich im Nachhinein als völlig haltlos dar. Der unliebsame Bischof war aber längst schon entlassen.
Und als bekannt wird, daß der Stiftsmesner von Altötting beabsichtigt, sich für Wahl zum Stadtrat in Jahr 2020 auf der Liste der AfD aufstellen zu lassen, teilt alsbald die Bischöfliche Pressestelle mit, daß er wegen "möglichen Mißbrauchs einer jungen Frau" fristlos gekündigt worden ist (3). Der angebliche Vorfall liegt aber 13 Jahre zurück. Dazu kommt noch, daß unser Stiftsmesner der Tradition der forma extraordinaria der Heiligen Messe sehr gewogen ist und dies durch seine Unterstützung vieler dementsprechender Hl. Messen und Veranstaltungen, wie der jährlichen PRO SANCTA ECCLESIA Wallfahrt, zum Ausdruck kommt. Es ist ja kein Geheimnis, daß diese Aktivitäten in bestimmten Kreisen der Kirche sehr skeptisch gesehen werden und auf entschiedene Ablehnung stoßen.
Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint nun das Bemühen der katholischen Kirche, auf allen Ebenen gegen "Missbrauchs"-Vorwürfe vorzugehen, als sehr ehrenhaft. Wenn man sich aber die Fälle genauer anschaut, wird klar, daß es nur ein böswilliges Spiel ist, unliebsame Mitglieder, sei es einen Pfarrer, einen Bischof oder einen Mesner los zu werden, die politisch oder kirchenpolitisch den Machthabern nicht genehm sind. Es genügt, irgendeine Sache aus der Vergangenheit auszugraben und mit dem Etikett "Mißbrauch" zu versehen, auch wenn sich alles später als haltlos herausstellt, was dann keinen Menschen mehr interessiert. Der unliebsame Zeitgenosse ist längst "entsorgt".
Es ist also durchaus nicht so, daß in solchen Fällen von vorneherein ein wirkliches Fehlverhalten der "Täter" zugrunde liegt, und es ist auch nicht so, daß die kirchliche Obrigkeit von einer geistigen Verwirrung im Umgang mit diesen Problemen befallen ist, sondern es versteckt sich hier der geistlose und heimtückische Charakter von angeblich frommen Kirchenmännern, die in Wirklichkeit nur ihre Macht mißbrauchen und den "Mißbrauch" zur Methode der Wahl erheben, um unliebsame Kollegen oder Mitarbeiter los zu werden.
In dieser Haltung offenbart sich deshalb eine Eigenschaft, die gerade dem huldigt, von dem man täglich betet, erlöst zu werden: dem Bösen. Es ist eine geistlose und hinterhältige Verlogenheit.
Die ganze Angelegenheit wird aber noch gesteigert. Jeder dieser hochrangingen Kirchenmänner, die sich mit dem Etikett "modern" versehen wollen wie Kardinal Lehmann, der sich so für den Mord am ungeborenen Leben eingesetzt hat und wie Kardinal Marx, der den Begriff des "christlichen Abendlandes" ablehnt, weil er "ausgrenzend" wirkt, betreibt die Anbiederung an den Zeitgeist in der Hoffnung, damit die Kirchen wieder zu füllen und die Austrittswellen aus der Kirche aufzuhalten. Man will es jedoch in keiner Weise wahrhaben, daß diese "Modernisten" die Situation der Kirche noch verschlimmern, denn die wahren Katholiken, sind diejenigen, die sich der Tradition verschreiben und sich nicht an den Zeitgeist anbiedern, der in einen Nihilismus münden wird, bei dem Gott nur noch am Rande vorkommt, bei dem "Leben" nicht mehr "Leben" und "Mißbrauch" nicht mehr"Mißbrauch" bedeutet, sondern alles und nichts, also irgend etwas. Das Wort ist dann beliebig geworden.
Der Kern dieses Phänomens liegt demnach im Mißbrauch des Wortes. Jemanden des "Mißbrauchs" zu beschuldigen, garantiert nicht nur eine sofortige Wirksamkeit in der Öffentlichkeit, sondern auch die völlige Wehrlosigkeit des Angeschuldigten. Wie kann man sich gegen einen Vorwurf verteidigen, der so unspezifisch, schwammig und beliebig daherkommt?
Es ist keine Frage, dass sexueller Missbrauch eine Straftat ist. Es keine Frage, dass jede Art von sexuellem Missbrauch von Mitmenschen zu verurteilen ist. Solche Arten des "Missbrauchs" verletzen die körperliche Integrität und die Würde des Opfers.
Solange aber das Wort "Missbrauch" nur unter vorgehaltener Hand gebraucht wird, um ehrenhafte Menschen aus Gründen, die nicht offensichtlich sind, aber (kirchen-) politisch motiviert sind, zu schädigen oder aus ihrer Stellung zu entfernen, gilt immer noch: in dubio pro reo. Dies sollte eigentlich auch in der katholischen Kirche gelten.
Fußnoten:
(1) Der Fall der Pfarrers M., persönliche Mitteilung eines mit mir befreundetes Geistlichen
(2) Bischof Walter Mixa im Gespräch mit WELT ONLINE: https://www.welt.de/politik/deutschland/article8061378/Walter-Mixa-Der-Druck-war-wie-ein-Fegefeuer.html